ZEHN - Zentrum für Ernährung und Hauswirtschaft Niedersachsen

EINHEIT ODER WIDERSPRUCH? DIE BÜRGERRATSEMPFEHLUNGEN UND NIEDERSACHSENS ERNÄHRUNGSSTRATEGIE IM VERGLEICH

Geben Ernährungsfachkräfte Empfehlungen heraus, ist ein häufiges Gegenargument: „Aber die Verbraucher*innen wollen das nicht“. Jetzt gibt es Klarheit: Ein repräsentativer Querschnitt der Gesellschaft aus 160 Bürger*innen – der Bürgerrat – hat Empfehlungen herausgegeben, wie die Ernährung in Deutschland zukünftig gestaltet werden soll.

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Ein Vergleich zu Niedersachsens Ernährungsstrategie zeigt: Bürger*innen und Fachexpert*innen sprechen sich für viele gleiche Änderungen im Ernährungssystem aus.

Die ausführlichen Empfehlungen des Bürgerrats "Ernährung im Wandel" sind hier nachzulesen. 

 

Der Bürgerrat empfiehlt, täglich ein kostenfreies und gesundes Mittagessen bundesweit an Kitas und Schulen für alle Kinder und Jugendliche bereitzustellen. Als Mindeststandard gelten die DGE-Qualitätsstandards sowie ein Einsatz von 30 % Bio-Lebensmitteln, regionale und saisonale Lebensmittel sind wünschenswert. Die Maßnahme soll gestaffelt, beginnend bei den Jüngsten, eingeführt und gemeinsam von Kommunen, Land und Bund finanziert werden.

Auch Niedersachsens Ernährungsstrategie spricht sich für ein beitragsfreies Mittagessen aus und sieht große Chancen in einer gleichzeitig qualitativ hochwertigen und weniger diskriminierenden sowie stigmatisierenden Verpflegung.

 

Maßnahme: Die Einführung einer beitragsfreien Kita- und Schulverpflegung in Niedersachsen voranbringen. (Handlungsfeld: Gemeinschaftsverpflegung)

  • Eine beitragsfreie und gleichzeitig qualitativ hochwertige Kita- und Schulverpflegung hätte viele Vorteile: Sie würde Ernährungsarmut, Diskriminierung und Stigmatisierung entgegenwirken, eine Versorgung mit gesundheitsfördernden Lebensmitteln sicherstellen und soziale Aspekte gemeinsamen Essen stärken. 
  • „Niederaschsens Ernährungsstrategie spricht sich vor diesen Hintergründen dafür aus, sich an dem vom WBAE empfohlenen Bund-Länder-Programm zur Implementierung und Evaluierung dieser Maßnahme zu beteiligen

 

Damit bewusstes Einkaufen leicht gemacht wird, braucht es laut Bürgerrat eine bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln durch Label. Ein Label auf der Verpackungsvorderseite, das die Bereiche Klima, Tierwohl und Gesundheit berücksichtigt, soll Verbraucher*innen dabei unterstützen, sich für gesündere Lebensmittel zu entscheiden.

So wird auch in Niedersachsens Ernährungsstrategie an mehreren Stellen eine verbesserte Lebensmittelkennzeichnung empfohlen. Potenziale werden hier sowohl im Anreiz zur Reformulierung durch lebensmittelverarbeitende Betriebe als auch in der Verbraucheraufklärung gesehen.

 

Maßnahme: Zur Deutung und Nutzung des Nutri-Scores aufklären. (Handlungsfeld: Ernährungsbildung)

  • Der Bekanntheitsgrad des Nutri-Scores wird gesteigert. Menschen werden befähigt, den Nutri-Score richtig zu deuten und bei der Gestaltung ihres Konsums zu berücksichtigen.

 

Maßnahme: Nutzung des Nutri-Scores ausweiten. (Handlungsfeld: Lebensmittelwertschätzung)

  • Die stärkere Kennzeichnung von verarbeiteten Produkten mit dem Nutri-Score als einfaches und europaweites System zur Nährwertkennzeichnung wird begrüßt, sodass mehr Orientierung beim Kauf von Lebensmitteln geboten wird. Der Nutri-Score wird dabei auch als Anreiz gesehen, die Rezeptur von Produkten zu verbessern.

 

Maßnahme: Einführung eines staatlichen Tierwohl-Labels für alle Tierarten. (Handlungsfeld: Lebensmittelwertschätzung)

  • „Niedersachsens Ernährungsstrategie“ setzt sich für die Einführung eines staatlichen Tierwohl-Labels für alle Tierarten ein. Mit einer begleitenden Aufklärung werden Verbraucher*innen befähigt, kompetente Konsumentscheidung zu treffen.

 

Maßnahme: Entwicklung eines umfassenden Klima-Labels. (Handlungsfeld: Lebensmittelwertschätzung)

  • Die Forderung, ein staatliches Klima-Label einzuführen, wird unterstützt. In Niedersachsen wird ein Konzept für ein Klima-Label entwickelt und erprobt, das es ermöglicht, die Ernährung klimafreundlicher zu gestalten, und das als Anreiz für lebensmittelverarbeitende Betriebe wirkt. Zukünftig sollten sich die verschiedenen staatlichen Label ergänzen.

 

Lebensmittel- und damit Ressourcenverschwendung soll reduziert werden. Daher spricht sich der Bürgerrat dafür aus, Supermärkte und andere Lebensmittelgeschäfte (> 400 m² Verkaufsfläche) zu verpflichten, noch genießbare Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen (z. B. Tafeln) und für gemeinnützige Zwecke weiterzugeben.

Dem schließt sich auch Niedersachsens Ernährungsstrategie an, um die weitere Verwendung von Lebensmitteln auszuweiten.

 

Maßnahme: Weiter Verwendung von Lebensmittelüberschüssen ausweiten. (Handlungsfeld: Lebensmittelverschwendung)

  • Noch genießbare, aber nicht mehr oder nur schlecht verkäufliche Lebensmittel sollten an Abnehmende unterschiedlicher Art weitergegeben werden – ob an Vereine, soziale Einrichtungen oder über digitale Lösungen.

 

Maßnahme: Gesetzliche Rahmenbedingungen prüfen. (Handlungsfeld: Lebensmittelverschwendung)

  • „Niedersachsens Ernährungsstrategie“ setzt sich dafür ein, die gesetzlichen Rahmenbedingungen dahingehend zu prüfen, ob bestehende Auflagen vereinfacht und herabgesetzt werden können (wie z. B. beim Thema „Containern“) oder, ob gesetzliche Verpflichtungen die Weitergabe von Lebensmittelüberschüssen unterstützen können. 

 

Der Bürgerrat sieht ein verpflichtendes und staatlich kontrolliertes Tierwohllabel als Möglichkeit an, die Lebensbedingungen und Herkunft von Tieren transparent darzustellen. Das ganzheitliche Label soll dabei die Geburt, Aufzucht, Haltung, den Transport und die Schlachtung umfassen. Es soll Verbraucher*innen eine bessere Kaufentscheidung ermöglichen und für Produzenten, Lieferanten, Handel und Gastronomie Anreiz sein, höherwertiges Fleisch anzubieten.

Die Empfehlung ist deckungsgleich mit einer Empfehlung aus Niedersachsens Ernährungsstrategie.

 

Maßnahme: Einführung eines staatlichen Tierwohl-Labels für alle Tierarten. (Handlungsfeld: Lebensmittelwertschätzung)

  • „Niedersachsens Ernährungsstrategie“ setzt sich für die Einführung eines staatlichen Tierwohl-Labels für alle Tierarten ein. Mit einer begleitenden Aufklärung werden Verbraucher*innen befähigt, kompetente Konsumentscheidung zu treffen. 

 

Um eine gesündere Ernährung zu unterstützen, empfiehlt der Bürgerrat, die Mehrwertsteuersätze auf Lebensmittel anzupassen. So soll die Mehrwertsteuer von z. B. unverarbeitetem und tiefgefrorenem, ökologisch erzeugtem Obst und Gemüse, Obst und Gemüse der Klasse 2 sowie von Hülsenfrüchten, Nüssen und Vollkorngetreide auf 0 % gesenkt, die von Zucker auf 19 % angehoben werden.

An dieser Stelle gibt es keine vergleichende Maßnahme in Niedersachsens Ernährungsstrategie. Dies ist damit zu begründen, dass die Ernährungsstrategie eine länderbezogene Perspektive einnimmt, Steuerpolitik allerdings auf Bundesebene entschieden wird. 

 

Ausgewogene Ernährung wird als zentrales Element bei der Genesung im Krankheitsfall gesehen. Daher soll aus Sicht des Bürgerrats ein Zugang dazu in Krankenhäusern, Reha-, Senioren- und sonstigen Pflegeeinrichtungen für alle gewährleistet werden. Dies beinhaltet die verpflichtende Einführung der DGE-Qualitätsstandards sowie eine ausreichende Ausstattung mit Finanzmitteln und Personal.

Die verbindliche Umsetzung der DGE-Qualitätsstandards wird auch in Niedersachsens Ernährungsstrategie als ein zentrales Element der gesundheitsfördernden Versorgung angesehen. Darüber hinaus spricht sich die Ernährungsstrategie dafür aus, Vernetzungsstellen für die Verpflegung in Kliniken aufzubauen, um Einrichtungen bei der Umsetzung der Qualitätsstandards zu unterstützen. Damit die Verpflegung auf die Bedarfe und Bedürfnisse der Patient*innen abgestimmt werden kann, empfiehlt Niedersachsens Ernährungsstrategie zusätzlich ein verbindliches Screening der Ernährungssituation.

 

Maßnahme: Einführung der DGE-Qualitätsstandards für die Verpflegung […] mit „Essen auf Rädern“ und in Senioreneinrichtungen. (Handlungsfeld: Gemeinschaftsverpflegung)

  • Eine verbindliche Umsetzung der DGE-Qualitätsstandards […] für die Verpflegung mit „Essen auf Rädern“ und in Senioreneinrichtungen stellt eine qualitativ hochwertige bedarfs- und bedürfnisorientierte Verpflegung sicher. Mithilfe der DGE-Qualitätsstandards sollen die Essumgebungen und die Atmosphäre gesundheitsfördernd gestaltet sowie Themen der Nachhaltigkeit, Esskultur und Ernährungsbildung verankert werden. Auch werden die Rahmenbedingungen wie Vergabeprozesse, Personalqualifikation und das Schnittstellenmanagement der Einrichtung thematisiert. Insgesamt erfolgt so eine ganzheitliche Betrachtung des Angebots.

 

Maßnahme: Vernetzungsstellen für die Verpflegung in Kliniken und in Betrieben aufbauen. (Handlungsfeld: Gemeinschaftsverpflegung)

  • Die Verpflegungsangebote in Kliniken und Betrieben sollten qualitativ auf Grundlage der entsprechenden DGE-Qualitätsstandards verbessert werden. Dies würde durch die Einrichtung einer fachlichen Unterstützung nach dem Vorbild der bestehenden Vernetzungsstellen wesentlich erleichtert.

 

Maßnahme: Die Ernährungssituation bei Aufnahme von Patient*innen in Kliniken und Reha-Einrichtungen sowie von Senior*innen in Einrichtungen routinemäßig erfassen. (Handlungsfeld: Gemeinschaftsverpflegung)

  • Ein verbindliches Screening der Ernährungssituation würde es ermöglichen, dass die Verpflegung auf individuelle Bedarfe abgestimmt werden kann. So kann einer Mangelernährung präventiv entgegnet und können bestehende Ernährungsprobleme behandelt werden. 

 

Damit landwirtschaftliche Betriebe einen Anreiz haben, auf höhere Tierhaltungsformen umzusteigen, empfiehlt der Bürgerrat eine zweckgebundene Verbrauchsabgabe auf tierische Produkte. Darüber ließe sich der Umbau zu einer artgerechteren Nutztierhaltung finanzieren. Dabei soll gelten: Je besser die Haltungsform, desto höher soll die Prämie sein.

Nicht nur der Bürgerrat, sondern auch Niedersachsens Ernährungsstrategie schließt sich damit der Borchert Kommission an, um so die Transformation der landwirtschaftlichen Erzeugung unter Tierwohlkriterien voranzubringen.

 

Maßnahme: Transformation der landwirtschaftlichen Erzeugung unter Tierwohlkriterien. (Handlungsfeld: Lebensmittelwertschätzung)

  • Niedersachsen geht als führendes Agrarland voran und unterstützt das vom Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung („Borchert Kommission“) entwickelte Konzept zum Umbau der Nutztierhaltung. Das Konzept umfasst ein staatliches Tierwohl-Label, ein Finanzierungskonzept für höhere Tierwohlstandards sowie eine Anpassung des Bau- und Immissionsschutzrechts, um Stallumbauten zu ermöglichen.  

 

 

Der Bürgerrat spricht sich dafür aus, eine Altersgrenze von mindestens 16 Jahren für Energydrinks und ähnliche Produkte einzuführen. Die Alterskontrollen würden zum gesetzlich verankerten Kinder- und Jugendschutz beitragen.

Zu dieser Empfehlung gibt es in Niedersachsens Ernährungsstrategie bisher kein passendes Pendant.

 

Der Lebensmittelkontrolle kommt eine entscheidende Rolle für die Sicherstellung der Qualität von Lebensmitteln und damit für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung zu. Laut Bürgerrat soll durch mehr Personal und Transparenz bei den Lebensmittelkontrollen das Ziel verfolgt werden, bestehende EU-Regeln und EU-Standards besser durchzusetzen. Novellierung der Berufsordnung, Fortbildung sowie Öffentlichkeitsarbeit über die Ergebnisse der Kontrollen sollen dazu beitragen.

In Niedersachsens Ernährungsstrategie findet sich bisher keine Empfehlung, die sich speziell an die Lebensmittelkontrolle richtig, wohl aber, an die Wahrnehmung von Weiterbildungen im Berufsalltag.

 

Maßnahme: Weiterbildungsangebote wahrnehmen. (Handlungsfeld: Lebensmittelwertschätzung)

  • Berufe unter anderem in der Landwirtschaft, der Lebensmittelverarbeitung, dem Handel und dem gastronomischen Service benötigen Weiterbildung. Diese stellen eine gesundheitsfördernde und nachhaltigere Ausrichtung ihrer Arbeit sicher und verbessern die Kommunikation mit anderen. Dabei werden auch niedrigschwellige, digitale Angebote wie Apps mitgedacht.

 

Zusätzlich zu den neun priorisierten Empfehlungen des Bürgerrats wird Aufklärung und Bildung als Fundament für alle Empfehlungen angesehen. Es wird als lebenslanges Lernen verstanden und bezieht sich auf umfassende Lebensbereiche. Bildung und Aufklärung sorgen sowohl für die allgemeine Gesundheit, als auch für ein erweitertes Bewusstsein, gesellschaftliche, generationsübergreifende und globale Verantwortung zu übernehmen.

Die Relevanz von Ernährungsbildung findet sich auch in Niedersachsens Ernährungsstrategie wieder. Nicht nur, dass sich Verbraucheraufklärung und Bildungsmaßnahmen in einzelnen Empfehlungen wiederfinden; Ernährungsbildung ist sogar eins der fünf zentralen Handlungsfelder, das mehrere Maßnahmen umfasst.

 

Das Handlungsfeld Ernährungsbildung im Überblick.

 

Der Bürgerrat erkennt an, dass der Großteil der vermeidbaren Lebensmittelabfälle im privaten Haushalt entsteht. Mit zielgruppenspezifischer Aufklärungsarbeit soll mangelndem Bewusstsein und Gleichgültigkeit entgegengewirkt werden. Bestehende Angebote sollen dazu ausgeweitet werden.

Auch Niedersachsens Ernährungsstrategie widmet sich intensiv der Reduzierung von Lebensmittelverschwendung. Dazu bündelt das Handlungsfeld Lebensmittelverschwendung zahlreiche Maßnahmen, die sich unter anderem an den privaten Haushalt richten.

 

Das Handlungsfeld Lebensmittelverschwendung im Überblick.